Im Bauwesen nehmen ÖNORMEN einen großen Stellenwert ein und genießen weite Verbreitung. Normen regeln technische Aspekte, Bemessungen, Ausführungen, Verfahren aber auch Vertragsbestimmungen.
Jene Normen, die das Zustandekommen und die Abwicklung von Bauverträgen regeln, werden im bauwirtschaftlichen Sprachgebrauch als „Verdingungsnormen“ bezeichnet. Diese Normen stellen ein aufeinander abgestimmtes und in sich geschlossenes Regelwerk dar, welches sich ausschließlich mit dem rechtlich-betriebswirtschaftlichen Aspekt der Vergabe und Erstellung von Bauleistungen befasst. Die Verdingungsnormen werden unterschieden im Hinblick darauf, ob sie das Zustandekommen eines Bauvertrages (Verfahrensnormen) oder dessen Abwicklung (Vertragsnormen) regeln. Daraus folgt, dass nur die Vertragsnormen, nicht aber die Verfahrensnormen Bestandteil des Bauvertrages werden können.
Wichtige bauvertragsrelevante Verfahrensnormen sind: A 2050 Vergabe von Aufträgen über Leistungen; B 2061 Preisermittlung für Bauleistungen; B 2062 Aufbau von Standardisierten Leistungsbeschreibungen unter Berücksichtigung automationsunterstützter Verfahren; B 2063 Ausschreibung, Angebot und Zuschlag unter Berücksichtigung automationsunterstützter Verfahren
Wichtige bauvertragsrelevante Vertragsnormen sind: B 2110 Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen; B 2111 Umrechnung veränderlicher Preise von Bauleistungen; B 2114 Vertragsbestimmungen bei automationsunterstützter Abrechnung von Bauleistungen; B 2118 Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen unter Anwendung des Partnerschaftsmodells, insbesondere bei Großprojekten; die Normen der Serien B 22xx und H 22xx, sie sich mit dem technisch-rechtlichen Aspekt der Bauausführung befassen. Diese existieren für einzelne bauspezifische Tätigkeiten und Gewerke.
Die Bauvertragsnormen (Werkvertragsnormen) sind jedenfalls dann verbindlicher Vertragsinhalt, wenn sie ausdrücklich im Vertrag als vereinbart bezeichnet sind. Normen sind, mit Einschränkungen bei Verbrauchergeschäften, auch dann verbindlich, wenn sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) als vereinbart vorgeschrieben sind. Eine konkludente Vereinbarung von Normen ist ebenfalls möglich. Normen müssen dabei schlüssig zum Gegenstand des Vertrages gemacht worden sein. Einzelne Punkte von ÖNORMEN können auch eine Verkehrssitte oder einen Handelsbrauch darstellen und sind dann zur ergänzenden Vertragsauslegung heranzuziehen.
Nicht mit den Werkvertragsnormen dürfen die technischen Normen verwechselt werden. Diese richten sich meist auf das Produkt, auf die Ausführung und auf die Prüfvorschriften. Diese vom Austria Standards Institute (ON Österreichisches Normungsinstitut) erstellten oder angenommenen (vor außerstaatlichen oder überstaatlichen Institutionen, zB CEN) Dokumente legen Regeln, Leitlinien oder Merkmale für Tätigkeiten oder deren Ergebnis fest. Sie können gemäß § 5 Normengesetz durch Gesetz oder Verordnung bundes- oder landesweit für verbindlich erklärt werden. Wird vom Gesetzgeber von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht, was auch die überwiegende Mehrzahl der technischen Normen betrifft, stellen sie lediglich unverbindliche Empfehlungen dar. Diese indizieren jedoch die allgemein anerkannten Regeln der Technik. Gemäß Abschnitt 5.1.1 der ÖNORM B 2110 gelten die in Betracht kommenden und im ÖNORMEN-Verzeichnis enthaltenen Normen technischen Inhaltes auch als Vertragsbestandteil.
Eine Vereinbarung in der Art „Es gelten alle einschlägigen rechtlichen und technischen ÖNORMEN“ wirft die Frage auf, welche Normen konkret vereinbart sind (zB ÖNORM
B 2110 oder B 2118). Vertragsnormen sollten daher immer eindeutig bezeichnet werden. Setzen individuelle AGB auf Vertragsnormen auf, ersetzen oder ergänzen sie die Normen in einzelnen Punkten, ist der konkrete Bezug auf die Norm unter Angabe des Ausgabedatums anzugeben. Das dient der Rechtssicherheit.
ÖNORMEN stellen weder Handelsbrauch noch Verkehrssitte dar, jedoch kann eine Handelsbrauchfeststellung eben ergeben, dass einzelne Regelungen, zB Abrechnungsbestimmungen, doch Handelsbrauch sind. Auch Sachverständige orientieren sich bei der Frage nach der „Üblichkeit“ gegebenenfalls an den Regelungen von ÖNORMEN.