Abweichungen gegenüber einem ursprünglich festgelegten Leistungsumfang sind bei der Realisierung eines Bauprojektes nicht die Ausnahme sondern vielmehr der Regelfall. Je größer und komplexer das Bauprojekt desto zahlreicher treten Abweichungen in Form von Leistungsänderungen oder Leistungsstörungen auf. Mit genau derartigen Situationen befasst sich das sogenannte Claim-Management.
Die Kernaufgabe des Claim-Management ist es, über die gesamte Zeitspanne eines Bauprojekts von der Kalkulation über die Ausschreibungs- und Angebotsphase, die Übergabe des fertigen Werks, bis zum Ende der Gewährleistung einen konstruktiven Umgang mit Projektbeteiligten bei Abweichungen von Werkleistungen gegenüber dem ursprünglich geschuldeten Leistungsinhalt zu finden. Alternativ gebräuchlich sind hierfür die Begriffe Nachtrags- oder Mehrkostenmanagement und bedeutet im Grunde die Bearbeitung von Ansprüchen („Claims“). Unter „Claims“ werden in der Regel die Ansprüche gegen einen anderen – meist einen Vertragspartner – verstanden, die aus Leistungsabweichungen resultieren, wobei der Begriff überwiegend im Bereich des Bauwesens gebräuchlich geworden ist.
Im Baubereich typische Sachverhalte, die zu Claims führen, sind zum einen (notwendige) Leistungsänderungen ohne Verschulden eines Vertragspartners. Im Zuge eines Bauprojekts kann es Änderungen der Planung selbst, der Ausführungsarbeiten aufgrund technischer Notwendigkeit oder der Verschiebung von Leistungsteilen kommen, die natürlich Auswirkungen auf die übrigen Beteiligten entfalten und gegebenenfalls zu Ansprüchen führen. Die wohl naheliegendsten Sachverhalte sind zum anderen diejenigen, welche sich tatsächlich als Leistungsstörungen darstellen und die ein Vertragspartner zu verantworten hat. Typische Leistungsstörungen sind im Bauwesen mangelhafte Planungs- oder Ausführungsarbeiten (Baumängel im eigentlichen Sinn), fehlende Mitwirkung des Auftraggebers und Verzug. Aber auch abseits der eigentlichen Ausführungsarbeiten können Ansprüche erwachsen, deren Ursachen bereits in unpassenden Verträgen oder erst nachträglich auftretenden Mängeln bzw. Schäden liegen. Claims können somit in allen Phasen eines Projekts und darüber hinaus entstehen. Ein nachhaltiges Claim-Management beginnt folglich bereits mit der Vorbereitung der Vertragsabschlüsse, die den Grundstein dafür legen sollen, Leistungsabweichungen möglichst zeitnah zu erkennen, zu analysieren und auf Grundlage des Vertragsinhalts überhaupt Ansprüche erfolgsversprechend verfolgen oder abwehren zu können.
Nur eine sorgfältige Kalkulation und präzise Leistungsbeschreibung in der Ausschreibungs- und Angebotsphase ermöglichen die Entwicklung eine gemeinsamen Verständnisses über die tatsächlich zu erbringenden Leistungen und die Formulierung des konkreten Bau-Solls. Der Schwerpunkt des Claim-Managements liegt in der Ausführungsphase. Hier gilt es vor allem durch laufende Soll-Ist-Vergleiche den Baufortschritt zu dokumentieren und entstehende Claims frühzeitig anzumelden und effizient durchzusetzen bzw. abzuwehren. In der Phase des Projektabschlusses sind hauptsächlich Fragen im Zusammenhang mit Gewährleistung und Bankgarantien von Bedeutung.
Wie die bisherige Darstellung nahelegt, findet sich ein konstruktives Claim-Management regelmäßig im Spannungsfeld zwischen einem zu aggressiven Verfolgen des konkreten Vertragsinhaltes und einem zu defensiven Verhalten bei der Durchsetzung von Ansprüchen. Ein allzu ambitioniertes Beharren auf der ursprünglich getroffenen Vereinbarung birgt die Gefahr, sich den eigenen Vertragspartner zum Gegner zu machen und das gesamte Projekt durch einen – möglicherweise leicht vermeidbaren – Rechtsstreit erheblich zu verzögern oder gar zu gefährden, wo hingegen ein zu defensiver oder gar passiver Umgang mit den eigenen Ansprüchen zum Verlust berechtigter Forderungen führen kann.
Gerade Bauprojekte werden in der Regel unter hohem ökonomischem und zeitlichem Druck abgewickelt. Bei Leistungsabweichungen sind die Vertragsteile umso mehr gefordert, auftretende Differenzen unter Wahrung einer konstruktiven Streitkultur auf eine Art und Weise aufzulösen, dass weder der Fortgang des Projektes noch die gegenseitigen Ansprüche gefährdet werden und weitere Polarisierungen auf für die Zukunft unterbunden werden. Das Ziel des Claim-Managements soll nicht der Aufbau einer Extremposition für einen künftigen Rechtsstreit sein. Langwierige Rechtsstreite führen erfahrungsgemäß nur allzu oft dazu, dass schlussendlich keiner der Beteiligten des Projekts einen wirklichen Sieg davon trägt.