Für die Tiroler Landesregierung gilt nach wie vor der politisch stets propagierte und im (noch) geltenden Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 entsprechend verankerte Grundsatz „Bauernland in Bauernhand“. Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1.1.1995 haben sich die Uhren jedoch weitergedreht. In Europa gilt längst ein anderer Grundsatz: „Bauernland in Europa Hand“.
Zunächst gilt es in Erinnerung zu rufen, dass der Europäische Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung die Ausübung des Rechts, in anderen Mitgliedstaaten und Regionen der EU, sohin auch in Tirol, Immobilien zu erwerben, zu nutzen und darüber zu verfügen, zunächst als notwendige Ergänzung der Niederlassungsfreiheit erblickt hat. Anknüpfend an diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof (eingehend) in der Rechtssache „Ospelt“ erkannt, dass auch die Kapitalverkehrsfreiheit es verbiete, die Genehmigung des Erwerbes landwirtschaftlicher Grundstücke deshalb zu versagen, weil der Erwerber der Landwirtschaft diese nicht selbst bewirtschaftet und am Hof seinen Wohnsitz hat.
Die Tiroler Landesregierung hat auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes reagiert und Ausnahmeregelungen von der grundsätzlich bestehenden Selbstbewirtschaftungsverpflichtung in das Tiroler Grundverkehrsgesetz aufgenommen. Dabei wird aber verkannt, dass diese auf EU-Ausländer abgestimmten Ausnahmeregelungen auch bei reinen Inländerfällen diskriminierende Wirkungen haben und damit mit dem österreichischen Bundesverfassungsrecht kollidieren können.
So hat der Verfassungsgerichtshof in ausdrücklicher Anknüpfung an das Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache „Ospelt“ – hier zwar betreffend das Burgenländische Grundverkehrsgesetz – erkannt, dass, wenn eine gesetzliche Bestimmung des nationalen Rechts gegen unmittelbar anwendbares europäisches Gemeinschaftsrecht (wie der Kapitalverkehrsfreiheit) verstößt, dann wird die österreichische Gesetzesbestimmung in Fällen mit Gemeinschaftsbezug („Deutscher erwirbt Bauernhof“) verdrängt. In allen anderen Fällen (also ohne europäischen Gemeinschaftsbezug), sohin auch bei Inländerfällen („Österreicher erwirbt Bauernhof“), wird die österreichische Gesetzesbestimmung hingegen nicht verdrängt sondern ist anzuwenden, dies jedoch unter Berücksichtigung des verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgrundsatzes.
Nach dem Tiroler Grundverkehrsgesetz hat der Erwerber – strenger als nach dem (für verfassungswidrig erkannten) Burgenländischen Grundverkehrsgesetz – nicht bloß zu erklären, sondern (sogar) zu gewährleisten, dass die von ihm erworbenen land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücke auch von ihm selbst bewirtschaftet werden. Bei einer konsequenten Beibehaltung dieser Rechtsprechung wird der Verfassungsgerichtshof auch die bezüglichen Bestimmungen im Tiroler Grundverkehrsgesetz als verfassungswidrig erkennen müssen.
Der Europäische Gerichtshof hat auch zur Residenzpflicht in der Rechtssache „Festersen“ noch einmal klargestellt, dass nationale Rechtsvorschriften der Kapitalverkehrsfreiheit zuwiderlaufen, wenn diese auf die Begründung eines ständigen Wohnsitzes am Hof als Voraussetzung für den Erwerb eines landwirtschaftlichen Grundstückes abstellen. Dabei stützt der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung nicht nur allein auf die gemeinschaftsrechtlich garantierte Kapitalverkehrsfreiheit, sondern auch auf das im vierten Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschrechtskonvention verankerte Recht des Erwerbers, seinen Wohnsitz frei zu wählen. Diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat aber nicht nur Folgen für Fälle mit europäischem Gemeinschaftsbezug, sondern auch für reine Inländerfälle. Österreich hat das vom Europäischen Gerichtshof herangezogene vierte Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ohne entsprechenden Vorbehalt, ratifiziert. Der Verfassungsgerichtshof wird wohl im Einklang mit der eingeschlagenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes im Anlassfall erkennen, dass eine – wie im Tiroler Grundverkehrsgesetz vorgesehene – Residenzpflicht für Erwerber land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke (auch) verfassungswidrig ist.
Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gilt somit auch in Tirol der neue Grundsatz „Bauerland in Europa Hand“.